Fahrtbericht

 
   
     

Bericht über die Kanada Fahrt der Niederrheinischen Kantorei vom 14. bis 29. April  

Das war schon ein aufregendes Gefühl für die meisten der 76 Mitfahrer: In Düsseldorf stehen wir nun, und warten auf den „Checkin“. Aber siehe da, ein hochrangiger Mitarbeiter der Canadien Airline begrüßt uns ganz freundlich als Gruppe und arrangiert, dass in Kürze alle Koffer und das sonstige Gepäck abgegeben sind und wir entspannt in der Lounge Platz nehmen können. Nachdem dann in Frankfurt bei dem kurzen Zwischenstopp noch die „Restlichen“ zu uns gestoßen sind, können wir unsere Transatlantik Maschine, ein geräumiger Airbus, besteigen und planmäßig abfliegen.

Wir, das sind fast fünfzig Mitglieder der Niederrheinischen Kantorei im CS aus Mülheim an der Ruhr, die 15 Musiker (Streicher, Trompeten, Paukist) – größtenteils Mitglieder des Niederrheinischen Kammerorchesters Moers und die beiden Solisten Constanze Becker-Lefherz aus Münster und Joachim Duske aus Hamburg (NDR-Chor) - und ein wenig „Anhang“. Insgesamt eben 75 Personen, und ein Cello, das so wertvoll ist, dass es nicht in den Frachtraum kommt, sondern auf einen Sitzplatz!

Mehr als zwei Jahre haben wir dieses Projekt vorbereitet. Es ist die erste Auslandsreise der Kantorei, und dementsprechend schwierig gestalten sich anfänglich die Zustimmungserfolge. Doch dann kann Wilfried Schulte (Neues Leben) uns durch Berichte und Bildmaterial überzeugen: Wir wollen es wagen! Jetzt geht es „nur“ noch darum, ein Orchester zu finden, das bereit ist, unter Eigenfinanzierung ein solches Unternehmen mitzumachen. Eine Woche vor Abflug steht dann auch die letzte Besetzung fest: Nachdem noch in der Generalprobe zur Messiasaufführung in Mülheim unser Konzertmeister schwer erkrankt, kann mit Ruth-Maria Kosow in letzter Sekunde ein mehr als vollwertiger Ersatz gefunden werden.

Obwohl die Stimmung auf dem 9-stündigen Hinflug in der geräumigen Maschine prima ist, bewegen uns nun doch etliche Fragen: Wie werden wir in Kanada aufgenommen werden? Wie weit haben sich die deutsch sprechenden Gemeinden von den englisch sprechenden entfernt? Wie wird ein klassisches Oratorium (Messias von Händel) bei den Kanadiern ankommen? Gehen wir mit unserer Musik evtl. völlig an den Hörgewohnheiten vorbei? Wie wird die Akustik sein, gibt es eine funktionstüchtige Orgel in Sicht- und Hörweite? Die Liste der Fragen ließe sich fortsetzen. Eine Mischung aus Vorfreude, Hoffen und Bangen macht sich breit.

Dann die Landung in Calgary: Wir sehen aus dem Fenster: Dichtes Schneetreiben, Temperaturen bei ca. –15° C. Eisige Kälte draußen, Koffer ausladen, Koffer einchecken, warten - es ist jetzt 7 Uhr Abends, bei uns wäre es vier Uhr in der Nacht – langsam macht sich Erschöpfung bemerkbar. Dann sitzen wir wie Heringe in der kleinen Boing, die uns die restlichen 200 km nach Edmonton bringen soll, sehen aus dem Fenster dem Enteisungsvorgang für die Tragflächen zu, Start, kurzer Flug und Landung in Edmonton. Die beiden Busse stehen direkt vor dem Ausgang, die Motoren laufen schon – hat jeder sein Gepäck wieder? Nein, es fehlt der Koffer mit unseren CDs und der Koffer von Beate außerdem der Stuhl für den Bassisten. Kontrolle der Instrumente: Der Kontrabass hat einen mächtigen Riss bekommen.

Offensichtlich hat er doch nicht im „Warmraum“ gelegen. Warten, Reklamation, Papiere ausfüllen, Informationen einholen. Endlich können wir fahren.

Treffpunkt ist die Southside Pentecostal Gemeinde. Unsere Gastgeber warten schon über eine Stunde auf uns: Ich gehe als erster ins Gemeindehaus und spüre sofort die herzliche Wärme, eine Begrüßung fast wie bei Freunden, die man länger nicht gesehen hat. Überall wird deutsch gesprochen, die Leute freuen sich einfach, „ihre“ Landsleute zu sehen. Aufatmen, das Eis ist gebrochen, der Empfang herzlich, die Quartierverteilung problemlos. Jetzt ein erster Blick in den Gottesdienstraum: 1400 Sitzplätze, von der Konstruktion eigentlich mehr eine Konzerthalle oder ein Opernhaus, gepolsterte Stühle, überall Teppichboden, Nachhall gleich Null! Wie soll man da singen? „Elektronische Beschallung“ flüstert man uns zu. Wie, wir sollen ein Oratorium mit Mikrofonen verstärkt musizieren?

Am nächsten Tag können wir erfahren, dass man das Verstärkungsproblem durchaus im Griff hat: Der Klang ist gar nicht so schlecht, gut ausgewogen zwischen Originalsound und dem, was aus den vielen Lautsprechern kommt. Nach der Probe noch gemeinsames Essen mit den Gastgebern in der Gemeinde, Wurst vom Rentier und Büffelfleisch – herzliche und unkomplizierte Gemeinschaft – Begeisterung allenthalben! Sonntagmorgen zuerst deutscher Gottesdienst, dann anschließend englischer Gottesdienst: Pentecostal = Pfingstgemeinde. Da „geht die Post“ ab! Bei aller Befremdlichkeit und bei allem Ungewohnten spürt man hier den Leuten ab, dass sie es ehrlich meinen, hier wirkt nichts aufgesetzt, und wird damit zu einem guten Stück „natürlich“ und überzeugend. Begeisternd, wie auch die Jugendlichen im Gottesdienst mitmachen. Sicherlich kein Konzept zum Nachmachen, aber zum Nachdenklich machen.

Abends dann unser erstes Konzert auf kanadischem Boden: Über 1000 Zuhörer sind restlos begeistert. In der Pause und nach dem Konzert sprechen uns die Leute spontan an: Einige haben deutsche Wurzeln, sie kramen natürlich ihre deutsche Sprache heraus, andere sprechen nur englisch. Sie sprechen über ihre direkten Empfindungen, viel offener wie wir Deutschen. Wir merken, wie auch wir uns von der Begeisterung anstecken lassen, die offene Natürlichkeit gewinnt auch in unserer Gruppe immer mehr. Beim Halleluja im Messias steht die Gemeinde geschlossen auf, ein erhebendes Gefühl im wahrsten Sinn des Wortes.

Kofferpacken, Abschied nehmen, Adressen notieren: Es geht unerbittlich weiter. Wir haben die Rocky Mountains im Visier. Eine Etappe von 1500 km quer durch die Wildnis liegt vor uns: Werden die Berge so überwältigend sein, wie man gehört und gelesen hat?
Da wir von Osten kommen, wachsen die Berge quasi aus dem Boden heraus: Schon die ersten Silhouetten rufen Begeisterung hervor: Immer wieder halten die Busse, um den Fotofetischisten Gelegenheiten für „picture taken“ zu geben. Aber die Berge wachsen weiter, es ist tatsächlich fast erschlagend, Gletscherstraßen, bizarre Gebirgsformen, Bergseen, eine Seilbahn auf den höchsten Gipfel, Canmore, Three Valley Gap, Lake Louise mit dem feudalen Hotel, Kicking Horse Pass, Revelstoke, ein touristischer Höhepunkt reiht sich an den anderen, jede Nacht in einem anderen Bett und in einem anderen Hotel. Dabei nur Sonnenschein, kein Wölkchen am Himmel, auf dem Lake Louise (zugefroren!) laufen wir alle in T-Shirt! Die Stimmung steigt, die Gemeinschaft wächst immer weiter zusammen, die Kontakte zwischen dem Chor und dem Orchester vertiefen sich, erste Freundschaften und Grüppchen bilden sich, nicht zuletzt ein „Verdienst“ unseres Reiseleiters Wilfried Schulte, der nicht nur eine exzellente Einführung und Erklärung der Umgebung und der Geschichte gibt, sondern auch durch seine Art der Menschenführung uns zu einer wahren Gemeinschaft „zusammenschweißt“ und uns jeden Morgen im Bus - anknüpfend an die Berge, an die Natur - Nachdenkliches über den Glauben und die Bibel in feiner, sensibler Art „serviert“.

Dann von Three Valley Gap im Zeitraffer durch die Jahreszeiten: In den Rockys war es des Nachts doch noch sehr kalt, jetzt in Kelowna ist es 22° C heiß. Besichtigung des Gottesdienstraums, der fast europäische Ausmaße hat: „Nur“ 500 Sitzplätze. Mal sehen, wie es diesmal wird, die Situation ist insgesamt etwas nüchterner und komplizierter als in Edmonton, schon bei der Quartierverteilung macht sich das bemerkbar.

Die deutschen Gemeindemitglieder – meist ältere Leute – haben kaum Kontakt mit den englisch sprechenden, jüngeren: Eigener Gottesdienst, eigener Pastor, eigener Chor usw.. Wir versuchen uns durch diese Problematik durchzulavieren, ohne anzuecken. Eingeladen hatte der deutsche (kleine) Teil der Gemeinde. Werden zu dem Konzert auch Zuhörer kommen? Wir bereiten uns in einer Probe bestmöglich (wie immer) vor. Dieser Raum hat auch Vorteile: Die Akustik ist viel besser, wir beschließen daher, völlig ohne Verstärkung zu singen, das hat den Vorteil, dass wir uns auch besser hören. Minuten vor dem Konzert neugierige Blicke von uns: Sind schon Leute da? Wir sind total überrascht: Der Raum ist schon überfüllt, man trägt alle vorhandenen Stühle herbei, die Leute müssen schon im Foyer draußen Platz nehmen. Das ist eine Überraschung, später erzählt man uns, dass schon lange nicht mehr so viele Leute in der Kirche waren.

Hochmotiviert gehen wir ins Konzert, am Schluss nach dem großen Amen und nach dem Schlussapplaus kann ich dem Chor zurufen: „Das war Spitze“. Die Sänger behaupten anschließend, das habe es noch nie gegeben!

 

Mal wieder Busfahren: Von Kelowna nach Vancouver. Wir sehen einen Elch, leider hat sich von den 300 Bären keiner sehen lassen. Dennoch ist die Stimmung einfach super, keine ernsthaft Kranken, keine Spannungen oder gar Zerwürfnisse: wir sind ganz einfach dankbar.

Um 16:00 Uhr sind wir pünktlich an der Kirche in Richmond, Vancouver: Von außen eigentlich keine Kirche, sieht eher wie ein riesiges Kongresszentrum aus. Und so ist es auch innen: Ganz schnell kann man sich auch verlaufen. Innen der Gottesdienstraum: So etwas habe ich noch nie gesehen, vergleichbar eigentlich nur mit der Philharmonie in Berlin oder in Köln: 1400 Sitzplätze, alle ansteigend, alle auf gepolsterten Sesseln, alles sehr edel (und teuer) – das muss man erst einmal in sich aufnehmen.

Gottesdienste am Ostersonntag: Sonst haben wir im Gottesdienst immer a capella Sätze (z.B. von Mendelssohn) gesungen, heute sollen wir im deutschen und im englischen Gottesdienst singen: Im englischen will man das große Halleluja mit vollem Orchester hören und die Trompeten-Bass Arie „The trumpet shall sound“. Mit dem Orchester begleiten wir auch ein weiteres Gemeindelied. Die Gemeinde hat einen speziell angestellten „Music Director“, der sich um das gemeindliche Singen zu kümmern hat. Begleitung der Gemeindelieder mit Orgel und Klavier gleichzeitig – man kann nur Staunen, aber irgendwie passt das alles zusammen.

An Ostermontag dann das dritte und letzte Konzert: 1400 restlos begeisterte Zuhörer. Jetzt sind wir müde, etwas abgekämpft aber rundum zufrieden und dankbar. Zum ersten Mal kann ich etwas aufatmen: Nicht mehr die Sorge haben, dass ein wichtiger Musiker oder gar Solist erkrankt, oder plötzlich die Pauken nicht da sind oder die Orgel nicht funktioniert! Noch drei schöne Tage, die wir in Vancouver und auf Victoria verbringen. Das Wetter ist zwar nicht ganz so sonnig wie in den Rockys, aber dafür haben wir den wunderschönen Butchert Garden, das Parlamentsgebäude mit Blick in den Sitzungssaal, das hochinteressante Museum für Britisch Columbia usw. – alles „very british“. Immer öfter denken wir an die Rückfahrt, dem einen fällt es wirklich schwer, sich von Kanada wieder zu trennen, der andere freut sich auf ein Wiedersehen zu Hause – wobei sich beides nicht ausschließen muss.

Freitag morgen Überfahrt wieder aufs Festland, an der Gemeinde vorbei und Instrumente einladen, Abschied nehmen von Harry Senges, dem Gemeindeleiter, der sich so rührend und professionell um uns gekümmert hat, dem wir als „Dankeschön“ einen Liebesknoten schenken und noch ein Liedchen singen – er hat fast die Tränen in den Augen – dann zum Flughafen, einchecken in eine leider unkomfortable Boing der Lufthansa, neun Stunden Flug, Frankfurt – einige fahren von hier aus nach Hause – Düsseldorf – Old Germany hat uns wieder. Jetzt sind wir erst einmal erleichtert aber total übermüdet, es wird sich herausstellen, dass viele mit der Umstellung noch eine Woche kämpfen, immer wieder Nachts wach werden – aber was ist das schon, im Vergleich zu dem, was wir erlebt haben: Wir empfinden das alles wie ein großes Geschenk und sind ganz einfach – dankbar. 

Dann ist es einfach schön, im nachhinein per E-mail zu hören: „Wir muessen auch sagen dass uns euer Besuch hier wirklich sehr gefallen hat. Unsere Besucher in dem Konzert sind noch immer begeistert ueber den schoenen musikalischen Abend den Ihr uns gabt. Wie Ihr wohl gemerkt habt, war euer Abschied etwas schwer fuer mich. Das hatte ich einfach nicht erwartet. Die schoenen Lieder die Ihr als Abschied gesungen habt, haben mich sehr angesprochen“.

Zum Schluss eine Bemerkung des Honorarkonsuls aus Edmonton:

Aus dem Brief des Honorarkonsuls F.W. Koenig (Edmonton/Alberta):

„Am Sonntag, den 16.4.2000 hatte ich in Edmonton die Gelegenheit Handel’s Meisterwerk „Der Messias“, dargeboten von der Niederrheinischen Kantorei, Mülheim und dem Niederrheinischen Kammerorchester, Moers, zu hören. Ich war tief beeindruckt! Es war ein kulturelles Erlebnis, wie es von deutschen Gruppen auf Kanada-Reisen selten geboten wurde. Das Konzert, übrigens in englischer Sprache gesungen, war in der Darbietung an Harmonie und Ausdruckskraft nicht zu überbieten. Ich war richtig stolz, dass unsere Freunde aus Deutschland in Edmonton eine so großartige Vorstellung gegeben haben.

Werner Seuken, 13.06.2000